Von Bernd Schilling
Im Lychener Ortsteil Rutenberg ignoriert ein Storchenpaar seit mehreren Jahren die angebotenen Nistun-terlagen. Die Tiere sind wählerisch, wissen die Uckermärker mitt- lerweile. Ganz krib- belig werden alle angesichts der dies- jährigen Auswahl des Nistplatzes.
RUTENBERG. Wer meint, ein Esel sei an Sturheit nicht zu überbieten, der kennt die Rutenberger Störche nicht. Über mehrere Jahre zog es sich hin, dass diese Adebare das Dorf und sein Umland vorsichtig erkundeten und es endlich offenbar ins Herz geschlossen hatten. Sie waren auf den feuchten naturbelassenen Wiesen ebenso zu sehen wie bei Zwischenlandungen auf dem Kirchturm. Sie folgten den pflügenden Traktoren auf Nahrungssuche und pickten auf den zahlreichen Pferdekoppeln.
Die Rutenberger freute das. Auf mehreren Grundstücken waren Nistunterlagen eingerichtet worden — auf einer Scheune und auf einem landwirtschaftlichen Gebäude des ehemaligen Gutshofes, mit freiem Anflug und guter Aussicht.
Vor zwei Jahren gingen die Weißstörche dann sehr entschlossen zum Horstbau über. Allerdings landeten viele ihrer herbeigetragenen Äste nicht auf dem von der Familie Benzin auserkorenen Dachplatz des Einfamilienhauses. Stattdessen verstopften die Tiere den Abzug der Hausheizung und die Dachrinnen — sehr zum Ärger der Hausbesitzer. Und ein Nest kam so auch nicht zustande. Die Störche wichen aus. Allerdings nicht auf einen Betonmast mit Nistunterlage, den Beschäftigte des Lychener Bauhofes und der Naturwacht in aller Eile am Dorfrand bei Familie Petzold aufstellten.
Nein, an der Grundstückseinfahrt von Aurelia de Smet stand keine 50 Meter vom Hause Benzin und vom neuen Mast entfernt ein stabiler Doppelmast aus Beton mit elektrischen Freileitungen. Was das Stromunternehmen mit Kribbeln zur Kenntnis nahm, das freute Frau de Smet. Zumindest am Anfang. Man konnte vor dem Haus auf der Bank sitzen und den Langschnäbeln beim Nestbau, bei der Storchenhochzeit und bei der Nachwuchsbetreuung zusehen. Doch als die gelehrigen zwei Jungstörche es ihren Eltern nachmachten und den weißen ätzenden Kot vom Nestrand aus nach unten verspritzten, da war bald wortwörtlich die Kacke am Dampfen.
Das Auto konnte nicht mehr in der Einfahrt stehen bleiben, und eine ausgelegte Plane, die zwischenzeitlich mehrfach gereinigt wurde, verschaffte nur vorübergehend Linderung. Denn Storchenkot hat mit Parfümgeruch nun wahrlich absolut gar nichts zu tun.
Was blieb übrig, nachdem Vogelkundler, Naturschützer und Stromversorger die Sache geprüft hatten, als gute Miene zum dreisten Spiel zu machen? Die Adebare durften ohne Stress bei Aurelia de Smet ihre Jungen aufziehen. Als im Frühherbst Storchenabflug war, kehrte Ruhe ein.
In der Folge setzte der Stromversorger auf die Spitzen des Betondoppelmastes Antennen ähnliche Konstruktionen zur Storchenabwehr. Die machten Landungen unmöglich, geschweige denn einen Nestbau. Alternativen zum Horstbau gibt es schließlich im Dorf ausreichend, sagte man sich und dachte, dass das die Störche wohl einsehen werden.
Taten die sturen Vögel aber nicht. Die geringste Kleinigkeit kann dazu führen, dass Störche Nistplätze meiden, wusste Weißstorchbeauftragter Norbert Bukowsky zu berichten. Diese Erfahrung hatte er schon mehrfach gemacht. Mancher Storchenfreund, der sich als Nachbar der Langschnäbel entgegenkommend angeboten und eine Nistunterlage hatte errichten lassen, musste das ebenso zur Kenntnis nehmen.
Meister im Meiden waren die Störche wirklich, als sie dieses Frühjahr aus dem Süden einflogen. Kein Scheunendach, kein Betonmast mit Nistunterlage war ihnen gut genug. Nein, es musste ein Doppelmast der Stromversorgung sein. Zuerst haben sie es bei Familie Wendland in der Dorfmitte gegenüber der Kirche versucht, berichtet der Eigentümer. Aber die Äste fanden keinen Halt, weil die Stromleitungen nur von einer Seite zum Mast kommen und der Strom dann per Erdkabel weitergeleitet wird.
Ein offenbar besser geeigneter Doppelmast stand direkt an der Dorfstraße und dem Gehweg am Abzweig nach Eichhof, schräg gegenüber vom Hause Benzin. Der Bau gelang, weil die Stromleitungen dort aus drei Richtungen am Mast enden. Auch die stürmischen Junitage überstand das Nest. Im Horst „mit Stromanschluss" werden nun wieder zwei junge Störche groß. Was die Adebare von oben fallen lassen, trifft ein Schuppendach, überwiegend aber öffentlichen Grund.
Wer aber als Fußgänger oder Radfahrer dort unterwegs ist, ist gut beraten, die Straßenseite zu wechseln. Und beim Stromversorger und dem Weißstorchbeauftragten kommt erneut das bewusste Kribbeln auf, ob auch dieses Experiment gut gehen wird. Denn Strom führende Leitungen sind schon oft Störchen, besonders im Fliegen ungeübten, zum Verhängnis geworden.
Im Dorf wird das Treiben der Störche von den Bewohnern sehr wachsam registriert. Man würde es sehr bedauern, wenn die Tiere künftig Rutenberg meiden würden. Manch einer meint sogar, das Ganze habe was Vergraulendes an sich. Es sei wohl auch Absicht des Stromversorgers, wenn er Doppelmasten technisch so aufrüstet, dass kein Storchenhorst mehr zustande kommen kann. Und man fragt sich, warum — wie in anderen Orten der Uckermark geschehen — nicht eine erhöhte Nistunterlage auf dem Doppelmast angebracht werden kann, wenn die wählerischen Störche schon partout nicht woanders brüten wollen.
Obiger Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der TEMPLINER ZEITUNG (HEIMAT) (Lokalteil des UCKERMARK KURIER vom 03.08.2015) entnommen.
Zuletzt geändert: 20.03.2016